Haushaltsrede von Hermann Reyher vom 30.11.2010
Unsere Städte und Gemeinden sind die Seele der Demokratie! Doch diese Demokratieseele ist mittlerweile krank geworden, so dass ihre Selbstverwaltung mehr und mehr zerstört wird. Hauptursache sind die ständigen Leistungsgesetze der Bundesregierungen seit der Jahrhundertwende.
Anstatt die notwendige Sozialunterstützung für arme und behinderte Menschen gerecht mitzufinanzieren, macht die derzeitige Berliner CDU/FDP – Koalition Milliardengeschenke für Atomkonzerne, Hotelketten und andere Lobbygruppen.
Seit einem Jahr verspricht uns die schwarzgelbe Bundesregierung, eine ausgewogene Gemeindefinanzreform zu schaffen, doch bisher ohne jeglichen Erfolg. Den Schuldenländern Griechenland, Irland und bald auch Portugal und Spanien wird großzügig mit zig Milliarden geholfen. Doch für die eigenen Städte und Gemeinden gibt es keinerlei Euro-Schutzschirm.
Die neue rotgrüne Landesregierung hat wenigstens eine Schuldentilgungshilfe auf den Weg gebracht. Für Kierspe bedeutet das rund 300.000 Euro Entlastung. Doch bei einer Neuverschuldung von knapp 5 Millionen in 2011 und den weiteren Jahren in ähnlicher Höhe, ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Bis 2015 ist dann das gesamte Eigenkapital von Kierspe aufgebraucht – die praktische kommunale Insolvenz wäre dann eingetreten. Schon heute hat Kierspe laut 8. Schuldenbericht des Märkischen Kreises die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in der gesamten Region.
Angesichts dieser Alt- und Neuschulden wollen CDU/SPD/UWG und FDP die millionenteure Umgehungsstraße „Lausebergaufstieg“ bauen. Auch eine scheinbar privatwirtschaftliche Finanzierung über das PPP-Model würden jährlich Hunderttausende Euro Folgekosten für den Haushalt bedeuten. Schon seit Jahren wurden sechsstellige Planungskosten aufgewendet, um diese „finanzielle Totgeburt“ zu realisieren. Für 2011 wurden 82.000 Euro in den Haushalt eingestellt: ein Fass ohne Boden.
Wir Grünen appellieren an die Landesregierung keine Fördermittel für dieses Millionengrab „Nordumgehung“ bereit zu stellen und an die Kommunalaufsicht dem Ganzen ein Ende zu setzen.
Bei einer Schuldenlage von 56 Millionen Euro in 4 Jahren würde uns dann die Bezirksregierung in Arnsberg zwingen, sämtliche freiwillige Leistungen komplett zu streichen. Das bedeutet: kein Hallenbad mehr, keine Stadtbibliothek mehr, keine Musikschule mehr!
Neben dem „Lausebergaufstieg“ lehnen wir Grünen die geplanten Megaspielhallen am Wildenkuhlen entschieden ab. Bundesweit versucht derzeit die Glücksspielindustrie, flächendeckend Großprojekte umzusetzen mit verheerenden Folgen für suchtgefährdete Menschen. In Kierspe gibt es erfreulicherweise eine breite Protestwelle, dokumentiert durch zahlreiche Leserbriefe in der MZ und Unterschriftenlisten in den Kirchen und Geschäften.
Wir ermutigen allerdings Investoren, anstelle neuer Spielkasinos sozialverträglichere Projekte in unserer Stadt zu verwirklichen wie Bowlingbahn, Sportstudio, Internetcafe und andere Eventangebote.
Städtebaulich nötig ist ein neues Lebensmittelgeschäft in Kierspe Dorf mit naturverträglichen Parkplätzen. Erfreulicherweise sind junge Familien dabei, östlich des Rathauses neue Wohngebäude zu errichten. Angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung ist dieses ein gutes Zeichen einer Überalterung der Einwohnerschaft entgegen zu wirken. Dazu dienen auch die Bemühungen, in den Kindergärten genügend Betreuungsplätze für unter Dreijährige zu schaffen. Unsere Gesamtschule muss dauerhaft ihr gutes Bildungsniveau halten und noch ausbauen, um der heimischen Wirtschaft genügend Fachkräfte anbieten zu können.
Die derzeit gute Konjunkturlage bedeutet auch einen ökonomischen Glücksfall für die Stadt. Neben steigenden Gewerbesteuern ist zu hoffen, dass sich weitere innovative Firmen ansiedeln: in den Gewerbegebieten Kiersperhagen, Hammerwiesen und im bisher nur zinsteuren Industriegelände Grünewald.
Für die strukturschwache Untere–Kölner-Straße bedeutet der neue Busbahnhof eine wohltuende Aufwertung. Die weitere Optimierung dieser städtebaulichen Problemlage könnte das Regionale–Projekt 2013 ermöglichen. Speziell für Kierspe bevorzugen die Regionaleplaner ein gemischtes Freizeitcenter mit Freilichtbühne an der Volme und ähnlichem zwischen der alten und neuen landwirtschaftlichen Genossenschaft. Für eine Realisierung ist allerdings der „3. Regionale-Stern“ notwendig, um die entsprechenden Landesfördermittel bekommen zu können. Erfreulicherweise wollen mittlerweile die Volmetalgemeinden eine Reaktivierung des Bahnverkehrs von Marienheide über Meinerzhagen, Kierspe, Halver bis nach Hagen und ins Ruhrgebiet. Auch ein durchgehender Radweg entlang der Bundesstraße 54 soll umgesetzt werden.
Positiv für Kierspe ist auch die Gründung des Vereins „Stadtmarketing“ mit ihren kreativen Aktivitäten. Doch für eine größere touristische Mobilisierung reicht dieses gute Beispiel nicht aus. Wir brauchen dafür ein Gesamtkonzept aller 4 Volmetalgemeinden mit einem professionellen Management. Sicherlich könnte dann bald die „Schanhollenhöhle“ als Besuchertraktion dienen.
Gut entwickelt hat sich auch die schrittweise Umsetzung unserer Ratsanträge zum Klimaschutz. So sind in diesem Jahr eine Menge Solaranlagen auf den Dächern von Gesamtschule, Sporthalle, Hallenbad und Bauhof installiert worden. Auch die erheblichen Energieeinsparungen in den städtischen Gebäuden nehmen wir positiv zur Kenntnis.
In Sachen Naturschutz sehen wir als Grüne noch Handlungsbedarf. Zweifelhafte Baumfällungen am Rande des Fachmarktgeländes müssen in Zukunft verhindert werden. Auch die nötigen ökologische Ausgleichsmaßnamen für Bautätigkeiten sollten transparenter und überprüfbarer werden.
Ich komme zum Schluss:
- Wir Grünen wollen starke Kommunen: finanzstarke, bildungsstarke, sozialstarke, kulturstarke
- Dafür muss der Bund endlich eine gerechte Gemeindesteuerreform umsetzen.
- Wir Grünen halten weiterhin eine breite Bürgerbeteiligung und Ehrenamtsarbeit für notwendig: in den Vereinen, Kirchengemeinden, Initiativen oder speziell beim Sozialprojekt „Hand in Hand“
- Unsere Fraktion dankt der Stadtverwaltung und besonders der Kämmerei für den soliden Haushalt 2011 und die gute Zusammenarbeit mit uns.
- Trotzdem können wir dem Etatentwurf 2011 nicht zustimmen weil immer noch größere Finanzmittel ausgewiesen sind für den von uns abgelehnten „Lausebergaufstieg“.
Mein letztes Anliegen:
Ein Dankeschön gilt auch dem Ratskollegium aus den anderen Fraktionen. Ihr habt größtenteils sachbezogene und wenig polemische Debatten geführt. Populistische Beschlüsse mit Fraktionszwängen waren die Ausnahme. Im Vordergrund standen vernünftige Lösungen zum Wohle unserer Stadt. So sollte es weitergehen….
Hermann Reyher, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, Kierspe, 30.11.2010
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